Vegetabile Skulpturen von Martin Schwenk | Knut Ebeling


Es gibt einen Text, in dem der französische Philosoph und Schriftsteller Georges Bataille sich mit der morphologischen Semantik der Blume beschäftigt. In "Le langage des fleurs" von 1929 stellt er fest, dass die Sprache der Blumen eine ambivalente ist: Während der oberirdische Teil der Pflanze sich durch Reinheit und Schönheit auszeichnet, spreche sich in der Wurzel das Gegenteil aus, ihre hässliche Dreckigkeit und wuchernde Richtungslosigkeit. Bataille fährt aus, dass die Pflanze, indem nur ihr oberer Teil in den Prozess der Zivilisation miteinbezogen werde, um ihre Materialität betrogen wird. Wenn man der ganzen Pflanze gerecht werden wolle, müsse man neben ihrer Überirdischen Schönheit auch ihre unterirdische Hässlichkeit repräsentieren.

Genau dies ist das Projekt der vegetabilen Skulpturen, die Martin Schwenk derzeit in der Galerie von Marion und Roswitha Fricke zeigt. Die aus Silikon, Gips oder Acrylglas geformten Pflanzenwesen erheben die Ambivalenz der Blume zum Prinzip, indem sie den anmutigen wie den verworfenen Teil der Pflanze zeigen. Die artifizielle Ausstellungssituation macht es möglich, dass die Wurzel nicht im Boden der Galerie verschwindet wie in der Erde.

Wie verzauberte Märchenwesen aus Alice im Wonderland stehen die riesigen Blumen im Galerieraum und ergeben sich ihrer eigenen Wucherung. Ihr oberer Teil bezaubert durch hütchenhafte Blüten in zarten Farben; der untere kreatürliche Teil verstört durch würstchenhafte Fortsätze, die an Knochen erinnern oder an die wüsten Widerlichkeiten des Schlaraffenlandes. Die Wurzeln sind Teil einer unangenehmen, unerfreulichen Welt, während alle Blütenteile hübsch und phantasievoll sich der Sonne zuwenden.

Dieses Schema, das Bataille mit den moralischen Kategorien parallelisiert, wird von Schwenk kaum gebrochen. Während die künstliche Struktur der Pflanze wie aus dem Schulbuch abgemalt wirkt, entwickelt die reale Skulptur auf halbem Weg zum Naturkundemuseum ihr bizarres Eigenleben. Es sind ihre Abweichungen, die sie auszeichnen das macht die spezifische Exzentrizität der Skulpturen Martin Schwenks aus.

Dieser exzentrischen Bewegung lassen sich durchaus mythische Dimensionen zuschreiben. Man könnte etwa die Geschichte erzählen vom Künstler, der sich sein Bild von der Natur machen wollte. Doch als er der Materie wie Gott Leben einzuhauchen versuchte, entwand sich sein Werk nach dem blasphemischen Akt plötzlich dem Zugriff des Menschen. Es verwandelte sich in ein Monster, das in Gestalt verrottender Blumen in den Blumenvasen der Welt vor sich hinsiecht. Hier verhält sich Schwenk wie der Marquis de Sade, von dem Bataille am Ende seines Textes erzählt, er habe zusammen mit seinen Knechten den Rosen ihre Blätter ausgerissen, um sie anschließend auf den Misthaufen zu befördern.

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